UXcamp Europe 2019 – no spectators, only participants

4 Minuten Lesedauer

Zum 10. Mal jährte sich in diesem Jahr das UXcamp Europe. Die ad-hoc Unkonferenz, wie sie sich selbst nennt, zählt inzwischen mit +500 Teilnehmern zu einem der größten Bar Camps für UX-Profis. Experten aus aller Welt – unter anderem aus den Niederlanden, Skandinavien, Polen, Deutschland, Brasilien, Mexiko und den USA – trafen sich für 2 Tage in Berlin, um voneinander zu lernen und sich zu vernetzen.

Bei dem recht offenen Programm, welches durch die Teilnehmer und Ihre Vorträge erwächst, wurden etwas über 100 Sessions zu den aktuellen Themen der Branche angeboten. Die Auswahl hätte vielfältiger nicht sein können: Die Palette reichte von Talks über physiologische Grundlagen für UX Design über sehr praxisorientierte und erfahrungsgeleitete Vorträge und Workshops zu Methoden und Prozessen, bis hin zu Fragen nach der richtigen Organisationsform, in der user-zentriertes Arbeiten möglich ist.

UX Psychology – Warum eine gute User Experience so wichtig ist

Martina Mitz, Webdesignerin, Psychologin und UX Psychologist, machte mit ihrem Vortrag über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns noch einmal deutlich, wie wichtig eine gute User Experience für die Akzeptanz eines Produktes ist. Sie zeigte, dass unsere Entscheidungen für oder gegen etwas stark von unseren Erinnerungen und Erfahrungen beeinflusst sind. Denn bevor ein visueller Reiz (zum Beispiel das Produkt) auf den Neo-Cortex trifft, in dem das rationale Denken stattfindet, durchläuft er zunächst das limbische System, verantwortlich für Emotionen und Gefühle, und danach den Hippocampus, den Ort, in dem unsere Erinnerungen gespeichert sind. Bevor wir also etwas bewusst wahrnehmen und uns „rational“ beispielsweise für oder gegen ein Produkt entscheiden, hat sich das Gehirn bereits 300 Millisekunden vorher mit dem Gesehenen unbewusst und auf emotionaler Ebene beschäftigt und mit bereits bestehenden Erinnerungen und Erfahrungen abgeglichen.

Ganz praktisch heißt das:

  1. Um Produkte zu entwickeln, die Spaß machen, sollten wir uns daran erinnern, dass wir nie in erster Linie rational denken – der erste Eindruck basiert auf Emotionen und Erinnerungen. Diese anzusprechen, sollte unser Ziel sein.
  2. Werden Bedürfnisse befriedigt, merkt sich das unser Gehirn positiv und ruft diese Erinnerung beim zweiten Benutzen einer Anwendung wieder ab. Mit jedem Mal verfestigt sich die Erinnerung und das Produkt wird positiv aufgeladen und zahlt dadurch auf das gesamte Unternehmen ein.

Research – Was tun, wenn es nur wenige Informationsquellen gibt, die Zeit knapp und das Team klein ist?

„Don’t let perfect get in the way of good enough“, dieses Zitat fasst ganz gut die Session „Staying research-led with (almost) no resource” von Kea Zhang zusammen. Als Gründerin von teston, einem Start-Up, das es sich zum Ziel gesetzt hat, User-Testings zugänglicher und weniger kompliziert anzubieten, sieht sie sich täglich mit denselben Problemen wie ihre Zielgruppe konfrontiert:

  • zu wenig Zeit
  • zu wenig Personal
  • zu wenig Budget
  • und dennoch der Wunsch, user-zentriert zu arbeiten

So empfahl sie: „Make discovery key to your process“ und: “Make the most of existing resources and opportunities“. Sie selbst realisieren diese Forderungen, indem teston praktisch jede Möglichkeit nutzt, um mehr über das Produkt, das Unternehmen und die Zielgruppe zu erfahren.

Um das zu ermöglichen, erhält bei teston auch das Verkaufsteam einen 30-minütigen UX-Crash-Kurs und neben einem Customer Success Team gibt es einen Verantwortlichen, der sich ausschließlich um die Erfassung und Pflege des Kundenfeedbacks kümmert. Bei der Bewertung des Feedbacks stehen Ähnlichkeiten und Muster im Fokus – So geht es in erster Linie nicht darum, wissenschaftlich korrekt zu arbeiten, sondern Risiken zu minimieren und Ideen zu evaluieren. Die so erarbeiteten Insights gehen an die Product Owner, die auf dieser Grundlage Verbesserungsansätze und Ideen erarbeiten, die anschließend in die Entwicklungsabteilung gehen. Bewährt hat sich bei teston, Discovery-Sprints, aus denen heraus sich Ideen entwickeln, parallel zu Developing Sprints abzuhalten.

Die Sessions – praxisnah und hilfreich

Weitere sehr interessante Panels zum Thema Research beschäftigten sich mit der Schwierigkeit, gute User Stories zu entwickeln – „Telling really real user stories”, oder auch damit, wie es gelingt, eine valide Basis zu schaffen, auf der es möglich ist, Produkte für die Zukunft zu entwickeln: „Speculative Experience. Design Thinking for Future Szenarios.” Auch die Fragen danach, welche Fähigkeiten wichtig sind und werden, und welche Möglichkeiten der Weiterbildung es im Bereich UX gibt, wurde in zwei Sessions diskutiert: “Learning from each other’s background” und „UX for Dummies!? How to educate yourself?”.

Nicht zuletzt gab es großes Interesse an der Problematik, wie Unternehmen nutzerzentrierter arbeiten können. Die Antwort ist nicht neu: flache Hierarchien, mehr Verantwortung und Gestaltungsfreiheit für die Mitarbeiter sowie enger Austausch auf allen Ebenen. So leitet ein User-Feedback, welches alle erreicht hat, die Arbeit am Produkt. Eine gemeinsame, immer wieder miteinander abgeglichene Vision und Strategie des Unternehmens löst die Kontrolle durch die Unternehmensspitze ab. Sie sorgt dafür, dass Kriterien für Entscheidungen vorhanden sind, an denen alle Mitarbeiter ihr Tun ausrichten können, ohne in ihren Talenten beschnitten zu werden. Dass Vertrauen in die eigenen Mitarbeiter sich lohnt, zeigt der Erfolg von Apple. Steve Jobs beschrieb die Rolle des Managements wie folgt:

It doesn’t make sense to hire smart people and then tell them what to do, we hire smart people so they tell us what to do.“

Abschließend kann man sagen: Bei aller Theorie, die in den Sessions vermittelt wurde, wurde auch anschaulich und praxisnah vorgestellt und im Anschluss zur Diskussion gestellt. So inspirierten alle Vorträge zu einer Auseinandersetzung mit der Thematik in Bezug auf die eigene Arbeitsrealität. Was machen wir, wie machen es die Anderen? In der Diskussion konnte man diese Fragen abgleichen und sich eine Meinung dazu bilden.

Insgesamt war es ein sehr lohnender Blick über den Tellerrand des eigenen Arbeitskosmos. Das nächste UXCamp findet im Mai 2020 statt und wir werden erneut versuchen, dabei zu sein – Join! ­

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