Im Vorfeld des World Media Intelligence Congress 2025, der vom 30. September bis zum 2. Oktober in Düsseldorf stattfindet, haben wir uns mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Standorten über die aktuellsten Entwicklungen in der Medienbeobachtung und -analyse ausgetauscht. Gesprochen haben wir mit Fady El-Murr (Managing Partner der pressrelations GmbH), Virginia Chen (Chief Operating Officer, Asia-Pacific), Johannes Burk (Head of Global Business Development, North America) und Christophe Dickès (Managing Partner France).
„The Day After Tomorrow – The Age of Information Overload“ – unter diesem Motto steht der diesjährige Kongress. Als Gastgeber dieses Branchentreffs wollten wir erfahren, wie unsere Kolleginnen und Kollegen die Zukunft der Media Intelligence in ihren jeweiligen Ländern einschätzen, welche Themen ihren Alltag prägen und wie sie die aktuellen Veränderungen erleben.
Willkommen ihr vier, steigen wir direkt ein: Wie nehmt ihr die aktuelle Entwicklung der Media-Intelligence-Branche weltweit wahr? Gibt es Themen, die aus eurer Sicht besonders an Dynamik gewonnen haben?
Fady El-Murr: Die Branche ist aktuell sehr dynamisch. Es gibt viele Zusammenschlüsse und Übernahmen. Und während viele Wettbewerber investorengetrieben agieren, ist pressrelations seit der Gründung 2001 als unabhängiges, eigentümergeführtes Unternehmen gewachsen und setzt auf nachhaltige Entwicklung.
Parallel dazu haben auch die Rahmenbedingungen für Medien an Dynamik gewonnen. Verlage und Publikationen suchen nach neuen Einnahmequellen und versuchen, ihren Content einer digitalen Welt anzupassen. Das mündet mitunter in unüberschaubaren gesetzlichen Urheberrechtsregelungen in den einzelnen Ländern. In einigen Ländern existieren zentrale Verwertungsgesellschaften wie die NLA in Großbritannien. Gleichzeitig verlangen einzelne Medien, wie zum Beispiel die in London ansässige Financial Times, zusätzlich teure Lizenzverträge mit den Kunden. In anderen Ländern gibt es gleich mehrere Lizenzkörperschaften oder gar keine Regelungen. Die New York Times hat beispielsweise eigene, völlig marktfremde Vorstellungen zum Wert ihrer Inhalte. Aus Kundensicht bedeutet das: höhere Lizenzkosten, dafür schlechterer Zugang zu den Medieninhalten und Artikeltexten.
In dieser volatilen Copyright-Umgebung nehmen wir Medienbeobachter eine besondere Stellung ein. Wir übernehmen das Copyright-Management für die Kunden. Compliance ist dabei ein zentrales Thema. Medienbeobachter sorgen nicht nur dafür, dass Kunden die für sie passenden Inhalte bekommen, sondern auch dafür, dass sie lizenzrechtlich beraten werden. Darüber hinaus kommt uns eine zentrale gesellschaftliche Rolle zu: Wie keine andere Industrie sind wir in der Lage, den medialen gesellschaftlichen Diskurs zu beobachten, transparent zu machen und einzuordnen.
Johannes Burk: Das Offensichtlichste, das mir in den Sinn kommt, ist die KI-gesteuerte Automatisierung. Angesichts der exponentiell wachsenden Informationsflut muss unsere Branche präzise Lösungen bereitstellen, die in Echtzeit Medieninhalte filtern, priorisieren und umsetzbare Erkenntnisse liefern. Fast genauso wichtig ist unser Auftrag, zur Bekämpfung von Fehlinformationen beizutragen.
Ein weiterer Trend, ist die Rolle von Earned Media bei der Gestaltung von KI-Outputs. PR-Strategien müssen jetzt nicht nur berücksichtigen, wie sie ein menschliches Publikum erreichen, sondern auch, wie sie von den LLM-Algorithmen erfasst werden können.
Christophe Dickès: Die Media-Intelligence-Branche steht an einem Wendepunkt: Es wird sich zeigen, was langfristig wichtiger ist: Das reine Monitoring und Erstellen von Pressespiegeln oder passgenaue Analysen zu diesen Inhalten zu liefern. Content ist King – das gilt noch immer. Aber in der heutigen Informationsflut werden diese Inhalte möglicherweise weniger wichtig als unsere Fähigkeit, diese Inhalte einzuordnen und in Kommunikationsstrategien zu integrieren. Wenn wir dem als Monitoring- und Analyseunternehmen nicht gerecht werden, werden unsere Kunden zu anderen Plattformen abwandern. In diesem Umbruch spielt KI natürlich eine wesentliche Rolle. Wenn wir jedoch über KI in unserer Branche sprechen, stoßen wir auf eine Gegenreaktion von Verlagen. Es liegt an uns, diese Bewegung zu antizipieren und mitzugestalten.
Virginia Chen: Das traditionelle Monitoring ist bereits ausgereift, da Plattformen und Echtzeitanalysen inzwischen Standard sind. Was die Branche heute wirklich beschäftigt, ist KI – sie hat sich von einem unterstützenden Werkzeug zum Kern der Media Intelligence gewandelt. KI bringt aber auch Herausforderungen mit sich, insbesondere in Bezug auf Datenethik und Glaubwürdigkeit, da Desinformation und KI-generierte Inhalte immer weiter verbreitet werden.
Gleichzeitig verlangen Unternehmen integrierte Ansichten über Nachrichten-, Social-Media-, Broadcast- und Influencer-Inhalte hinweg, was die Branche dazu veranlasst, kanalübergreifende Analysen bereitzustellen. Insgesamt erwarten die Kunden von uns, dass wir nicht nur über das Geschehene berichten, sondern auch umsetzbare Empfehlungen und zukunftsgerichtete Handlungsanweisungen liefern.
„In dieser volatilen Copyright-Umgebung nehmen wir Medienbeobachter eine besondere Stellung ein.“ – Fady El-Murr
Was sind eurer Meinung nach die größten Veränderungen, die die Branche in den letzten zwei bis drei Jahren erlebt hat?
Virginia Chen: Das Aufkommen von KI hat die Erwartungen der Kunden und die Art und Weise, wie Medienbeobachtung angewendet wird, grundlegend verändert. Von Dienstleistern wird erwartet, dass sie eine höhere Pünktlichkeit, eine höhere Genauigkeit und eine verbesserte Kosteneffizienz bieten. Den Kunden reicht ein Monitoringbericht nicht mehr. Sie erwarten zunehmend auch strategische Einblicke. Der Fokus hat sich von der deskriptiven Berichterstattung (“Was ist passiert”) hin zu analytischen und prädiktiven Perspektiven (“Warum es wichtig ist” und “Was wahrscheinlich als nächstes passieren wird”) verlagert. Entscheidend ist, dass diese Erkenntnisse in den Arbeitsalltag integrierbar sind und es Kunden ermöglichen, Informationen in konkrete Entscheidungen umzusetzen. Diese Entwicklung treibt die Branche über das traditionelle Monitoring hinaus zu einer breiteren Rolle in der Beratung und Entscheidungsunterstützung.
Fady El-Murr: Neben den komplexen länderspezifischen Copyrightregelungen und den angesprochenen Änderungen durch KI, ist da vor allem das Aufkommen KI-generierter Inhalte zu nennen, den sogenannten Pink-Slime-Medien. Diese stellen weitere Herausforderungen dar und können die mediale Wahrnehmung verzerren. Pink Slime meint Webseiten, die vorgeben, seriöse Nachrichtenportale zu sein, in Wirklichkeit aber zumeist maschinell erzeugte Inhalte verbreiten. Das können politische Narrative sein oder auch „Nonsense-Inhalte“. Die Kosten für die Erzeugung solcher Inhalte sind aufgrund von KI sehr gering. Auch hier nehmen Medienbeobachter eine zentrale Rolle in der Identifikation solcher Inhalte ein.
Christophe Dickès: Kurz gesagt: Der wichtigste Faktor ist unsere Fähigkeit, KI sowohl im Backoffice als auch im Frontoffice zu integrieren. Das bedeutet zugleich Gewohnheiten, Prozesse, die Expertise und Rollen unserer Kollegen und sogar die Bedürfnisse unserer Kunden zu verändern.
Dieser Wandel vollzieht sich gerade und wir müssen dabei eine aufklärende Rolle einnehmen – insbesondere gegenüber Kunden, die in bestimmten Märkten die damit verbundenen Herausforderungen nicht immer direkt erkennen. Ich bin zum Beispiel überrascht, dass Ausschreibungen in Frankreich nach wie vor sehr „traditionell“ gehalten sind. Sie sind genauso wie vor zehn oder zwanzig Jahren! Unser Geschäft hat sich jedoch seitdem erheblich weiterentwickelt. Unsere Herausforderung besteht daher darin, ein neues Verständnis zu schaffen und veränderte Bedürfnisse frühzeitig zu antizipieren.
Johannes Burk: Die Mainstreamisierung und Akzeptanz von KI gehört zu den bedeutendsten Veränderungen. Wo einst Zurückhaltung herrschte, erwarten Kunden jetzt zunehmend KI-gesteuerte Lösungen – wobei sie gleichzeitig Transparenz und methodische Klarheit einfordern. Bei pressrelations verfolgen wir einen hybriden Ansatz: KI unterstützt Effizienz und Schnelligkeit, während menschliche Expertise Genauigkeit, Kontext und Vertrauen gewährleistet.
Eine weitere Veränderung zeigt sich im Mediennutzungsverhalten. Jüngere Generationen verlassen sich zunehmend auf soziale Plattformen als ihre primäre Nachrichtenquelle. Dadurch werden Krisenkommunikation und schnelle Reaktionsfähigkeit wichtiger denn je. Im Social Web verbreiten sich Nachrichten noch schneller als ohnehin. Dies erfordert von uns, die Geschwindigkeit für die Beobachtung der Plattformen kontinuierlich anzupassen, um unseren Kunden einen Vorsprung zu verschaffen.
Gleichzeitig bleiben Themen wie Urheberrechte, Content-Rechte und die sich schnell verändernde Medienlandschaft strukturelle Herausforderungen, die die Branche weiterhin gemeinsam bewältigen muss.
„Bei pressrelations verfolgen wir einen hybriden Ansatz: KI unterstützt Effizienz und Schnelligkeit, während menschliche Expertise Genauigkeit, Kontext und Vertrauen gewährleistet.“ – Johannes Burk
Wenn wir den Blick in die Zukunft der Media-Intelligence-Branche richten, welche Entwicklungen erwartet ihr? Bewegen wir uns eurer Einschätzung nach eher in Richtung SaaS, Professional Services – oder enstehen vielleicht völlig neue Geschäftsmodelle?
Fady El-Murr: Beides: Eine autonome Toolnutzung ist genauso gefragt wie Service und Beratung.
Johannes Burk: Ich sehe ein hybrides Modell entstehen, das auf absehbare Zeit Bestand haben wird. Während reine SaaS aufgrund ihrer Skalierbarkeit und Kosteneffizienz attraktiv sein können, schätzen viele Kunden weiterhin eine fundierte Beratungsunterstützung, die mit professionellen Dienstleistungen einhergeht. Insbesondere wenn KI-Funktionen in Arbeitsabläufe integriert werden, ist immer noch menschliches Fachwissen gefragt, um Ergebnisse zu überprüfen, zu interpretieren und zu validieren. Ideal ist eine Kombination aus Self-Service-Flexibilität und fachkundiger Beratung auf Abruf – Technologie und vertrauenswürdiges Fachwissen.
Virginia Chen: Ich glaube, es geht nicht in Richtung eines einzelnen Modells, sondern eher in Richtung einer hybriden Evolution. SaaS-Plattformen werden zur Grundlage der Media Intelligence, da Kunden skalierbare, Echtzeit- und benutzerfreundliche Lösungen benötigen. SaaS selbst muss jedoch auch menschenzentrierter und intuitiver werden, zum Beispiel indem die Benutzer über eine einzige Schnittstelle auf alle Funktionen zugreifen können.
Gleichzeitig bleiben professionelle Dienstleistungen unverzichtbar. Technologie ersetzt den Menschen nicht – sie ersetzt repetitive, manuelle Arbeit. Gewinnbringende Erkenntnisse erfordern immer noch menschliches Fachwissen – kulturellen Kontext, Branchenkenntnisse, strategische Interpretation und ein Verständnis für die Kundenbedürfnisse und die Arbeitskultur. Dies sind Aspekte, die die Automatisierung nicht vollständig replizieren kann.
In der Folge entsteht ein neues, KI-getriebenes Modell: Plattformen, die die Effizienz von SaaS mit Beratungstiefe verbinden. Auf diese Weise können Kunden von automatisierten Monitorings und automatisierter Analyse profitieren und erhalten gleichzeitig maßgeschneiderte, umsetzbare Empfehlungen. Kurz gesagt, die Zukunft wird höchstwahrscheinlich ein gemischtes Modell sein.
„Kurz gesagt, die Zukunft wird höchstwahrscheinlich ein gemischtes Modell sein.“ – Virginia Chen
Wie reagieren eure Kunden auf neue Technologien in der Medienbeobachtung und -analyse – mit Neugier, Skepsis oder Begeisterung für Innovationen?
Johannes Burk: Es ist eine Mischung, die oft von der Art der Organisation und dem regulatorischen Umfeld geprägt ist. Startups, Agenturen und mittelständische Unternehmen sind in der Regel experimentierfreudig und begierig darauf, Tools zu testen und einzusetzen, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Größere Konzerne und staatliche Institutionen sind dagegen aufgrund von Compliance-Anforderungen und Risikomanagement eher vorsichtiger.
Auf breiter Front sehen wir aber eine ausgeprägte Neugier gepaart mit gesunder Skepsis. Hier ist unsere Rolle entscheidend: Wir müssen unsere Kunden über das Potenzial, die Grenzen und die Transparenz der Datensicherheit neuer Technologien aufklären und anleiten.
Christophe Dickès: In Verkaufsgesprächen stoße ich auf zwei Reaktionen: Zum einen auf Erwartung, wenn der Kunde fragt: „Was bieten Sie denn noch an?“, und zum anderen auf Überraschung. Kunden sagen dann oft: „Es ist nur logisch, dass KI integriert wird.“ Skepsis gibt es kaum; stattdessen spürt man Neugier und Begeisterung für Innovation.
Virginia Chen: Meiner Beobachtung nach zeigen Kunden in Asien – insbesondere in China – ein hohes Maß an Offenheit gegenüber neuen Technologien und sind begierig darauf, den Wert zu erkunden, den KI und Automatisierung für ihre Arbeitsabläufe bringen können. Gleichzeitig bleiben sie sehr pragmatisch und gehen Innovationen mit selektivem Enthusiasmus entgegen. Oft herrscht eine gewisse Skepsis, vor allem in Bezug auf Datenqualität, Transparenz und Zuverlässigkeit. Kunden wollen echte Marken- und Verbraucher-Insights aus Daten ableiten und fragen sich natürlich: Kann ich diesen Analyseergebnissen vertrauen? Ist das System kulturell sensibel? Wird es meinem Team wirklich helfen, bessere Entscheidungen zu treffen?
Sobald Kunden jedoch die greifbaren Vorteile neuer Technologien erleben – insbesondere wenn Innovationen direkt auf ihre Probleme eingehen – ändert sich ihre Einstellung schnell in Richtung einer starken Unterstützung. In vielen Fällen gehen sie noch einen Schritt weiter, indem sie tiefere und anspruchsvollere Anforderungen stellen, was uns wiederum dazu antreibt, kontinuierlich innovativ zu sein und die Benutzererfahrung zu verbessern.
„Skepsis gibt es kaum; stattdessen spürt man Neugier und Begeisterung für Innovation.“ – Christophe Dickès
Bevor unser Gespräch zu Ende geht möchten wir von Fady noch wissen: Was bedeutet der World Media Intelligence Congress 2025 für dich?
Fady El-Murr: Der World Media Intelligence Congress ist der größte internationale Kongress der Medienbeobachter. Die Teilnehmer reisen von allen Kontinenten an. Trotz dieser Größe findet der Kongress traditionell in einer sehr familiären Umgebung statt. In den letzten Jahren sind so viele berufliche Freundschaften entstanden. Ich freue mich sehr, alte Freunde wiederzusehen und neue Bekanntschaften zu schließen. Das beschreibt sehr gut, worum es uns als Gastgeber geht: eine Umgebung schaffen, in der sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wohl fühlen und den Austausch genießen. Im Rahmen des Kongresses wird es viele Möglichkeiten geben zum Sightseeing, einen Cocktailabend in unserem Düsseldorfer Büro sowie ein Galadinner und viele weitere Gelegenheiten, ins Gespräch zu kommen.
Vielen Dank für das Gespräch euch vieren.