So beeinflussen die Änderungen auf X (Twitter) Ihr Unternehmen

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Immer mehr Werbetreibende springen von Twitter, jetzt X, ab. Dafür sorgen die vielen, willkürlich anmutenden Änderungen an der Plattform seit der Übernahme durch Elon Musk. Neben Risiken bergen einige der neuen Funktionen jedoch auch Potenziale für Unternehmen. Welche das sind und was Sie bei der Nutzung von X beachten sollten, erfahren Sie in diesem Artikel.

Im Oktober 2022 kaufte Elon Musk den beliebten Kurznachrichtendienst für rund 44 Milliarden US-Dollar. Zuvor ließ er über einen Twitter-Post seine Fangemeinschaft darüber entscheiden, ob er den Kauf abschließen solle. Bereits im April 2022 kündigte Musk den Kauf der Online-Plattform an und warb damit, dass er den Account von Ex-US-Präsident Donald Trump wieder entsperren würde. Weitere Hintergründe des Kaufs sowie einige X-Alternativen finden Sie hier.

Wie hat sich die Plattform verändert?

Seit der Übernahme nimmt Elon Musk immer wieder Anpassungen an dem Microblogging-Dienst vor, meist ohne große Vorankündigung oder Planungszeit. Viele der Neuerungen sind unkonventionell und wurden in anderen Sozialen Medien so noch nicht eingeführt. Auch nach Übergabe des CEO-Staffelstabs an Branchenveteranin Linda Yaccarino, die vor allem für “Brand Safety” und Stabilität für Werbekunden stehen soll, ist der Einfluss Musks, jetzt CTO, weiterhin spürbar. Nachfolgend ein Überblick über die wichtigsten Änderungen:

  • Neue Statistiken wurden eingeführt, andere wiederum abgeschafft – zum Beispiel wurde die „Twitter für iPhone“-Signatur durch die Anzahl der Views eines Posts ersetzt. Dadurch können Content-Marketer:innen auch bei fremden Posts, z.B. von Wettbewerbern, sehen, wie erfolgreich sie sind, und entsprechend Handlungen für die eigene Contentplanung ableiten.
  • Die „For You“-Page ersetzt die klassische Home-Timeline, welche nur Posts von abonnierten Accounts anzeigte. Nun schlägt auf der Startseite ein Algorithmus personalisierte Tweets vor. Nutzer:innen müssen also nicht mehr zwangsläufig einer Seite folgen oder nach speziellen Hashtags suchen, damit ihnen ein Beitrag ausgespielt wird. Unternehmen können das nutzen, um mit vom Algorithmus als relevant eingestuftem Content auch die Nutzer:innen zu erreichen, die bisher nicht erreicht wurden. Die klassische Home-Seite ist unter „Following“ jedoch weiterhin vorhanden.
  • Das Verifizierungs-Häkchen ist jetzt auch ohne das Erfüllen vieler anspruchsvoller Bedingungen für wenige Euros im Monat erhältlich – allerdings ohne eine tatsächliche Überprüfung oder Verifizierung seitens X. Die Legitimierungsfunktion der Häkchen fällt somit weg. Sie sagen nun lediglich aus, wer die Plattform finanziell unterstützt und kein Bot ist.
  • Eine weitere Änderung im Zuge der Personalreduktion ist die Abschaffung der PR-Abteilung. Bei Presseanfragen kam zwischenzeitlich nur ein Kothaufen-Emoji zurück, mittlerweile erhält man immerhin eine kurze, automatisch generierte E-Mail als Antwort.

Elon schießt den Vogel ab

Die medienwirksamste Änderung ist die neue Brand Identity, welche jetzt nur noch aus einem minimalistischen X besteht. Im gleichen Zuge wurde eine Weiterleitung von der Domain x.com auf twitter.com eingestellt. Der Buchstabe soll der Kern von Musks Markenuniversum werden, Twitter soll sich langfristig von einem Kurznachrichtendienst zu einer „everything app“ entwickeln. Das ist auch der Grund, warum Twitter zu X Corp. umbenannt wurde. Bereits im April hatte Elon Musk den altbekannten Vogel für einige Tage durch das Logo der Kryptowährung „Doge Coin“ ersetzt.

„Context Added“

Eine Änderung, die bereits vor der Übernahme Musks etabliert und nun deutlich verfeinert wurde, ist ein Feature namens “Community Notes”. Dabei handelt es sich um eine Funktion, die es Nutzer:innen ermöglicht, Kontext zu einem Beitrag oder einer Werbeanzeige hinzuzufügen. Dieser ist dann für andere Nutzende sichtbar und soll vor Falschinformationen schützen, die von Nutzerseite als solche identifiziert wurden. Es kann also jede:r einen Kontext zu einem Beitrag hinzufügen. Andere Nutzer:innen können dann über diesen „Kontext“ abstimmen und bewerten, ob dieser nützlich ist und der Wahrheit entspricht, oder nicht. Es gibt keine offizielle Instanz mehr, die die Moderation übernimmt oder vor Falschinformationen schützt. Die logische Folge sind Trolle oder ideologisch angetriebene Nutzer, welche die Funktion nutzen, um die Rezeption bestimmter Beiträge zu beeinflussen. Das könnte auch im Hinblick auf die US-Präsidentschaftswahlen 2024 zu Problemen führen.

Beispiel der Community-Notes-Funktion. Offizieller Screenshot von X. Nutzer:innen können Kontext zu einem Beitrag hinzufügen oder zu einem speziellen Inhalt innerhalb des Beitrags, z.B. einem Video.
Beispiel der Community-Notes-Funktion, offizieller Screenshot von X

In jedem Fall zwingt die Kontextfunktion Werbetreibende zu besonderer Aufmerksamkeit. Zu blumig formulierte Werbeversprechungen können so von Leser:innen um kritische Aspekte ergänzt werden, die etwa auf die schlechten Produktionsbedingungen eines beworbenen Kleidungsstücks eingehen. Elon Musk selbst sieht die Funktion daher als Haupttreiber für die jüngste Abwanderung von Werbekunden. In der Praxis ist die Funktion aus anderen Gründen für Unternehmen gefährlich: Die Rezeption ihrer Inhalte kann so von Internettrollen beeinflusst werden.

Monetarisierungen

Der größte Brandherd seit der Übernahme ist und bleibt der negative Cashflow. Seit Oktober sind die Werbeeinnahmen von Twitter laut eigenen Angaben um ca. 50% gesunken, wodurch die Plattform trotz massiver Sparmaßnahmen und einer extremen Personalreduktion Verluste schreibt. Um dem entgegenzuwirken, hat X auch einige bezahlte In-App-Möglichkeiten eingeführt:

  • Verification (ehem. Twitter Blue) – Ab 9,50 € pro Monat in der Web-Version und 11 € in der App können Accounts eine Premiummitgliedschaft bei X erwerben. Neben dem blauen Verifizierungshäkchen werden zahlreiche weitere Funktionen freigeschaltet, u.a. das nachträgliche Bearbeiten von Tweets, 50% weniger Werbung und ein erhöhtes Zeichenlimit für eigene Tweets.
  • Für Organisationen bietet die Mitgliedschaft zusätzliche Vorteile, wie die Möglichkeit, Mitarbeitende als Angehörige des Unternehmens zu markieren, eine „Hiring“-Einstellung oder einen Boost für die organischen Beiträge des Unternehmens. Organisationen zahlen jedoch 1.130,50 € pro Monat, unbeachtet Ihrer Größe.
Screenshot der Abonnement-Schaltfläche für die Verfizierung als Organisation. Für 1130,50€ pro Monat können Organisationen sich für das Feature bewerben.
Abonnement-Schaltfläche für Organisationen
  • Subscriptions – Sie erlauben Creators und Unternehmen, Inhalte hinter einer Paywall zu veröffentlichen, die dann nur für Abonnent:innen, ehemals „Super-Follower“, sichtbar sind. Der Preis hierfür kann von den Creators selbst bestimmt werden. Neben exklusiven Inhalten gibt es für Abonnent:innen Bonusinhalte wie exklusive Livestreams oder spezielle Subscriber Badges.
  • Marken, insbesondere Love Brands, können dieses Feature also nutzen, um Ihrer Followerschaft engere Möglichkeiten der Interaktion zu bieten und diese so noch stärker an sich zu binden. Voraussetzung ist unter anderem Twitter Blue bzw. ein verifiziertes Konto.

Kontext bei Linkposts soll verschwinden

Potenziell negativ dürfte sich eine derzeit noch in Planung befindliche Neuerung auswirken: So soll der Kontext von Linkposts entfernt werden, sprich Titel und Metabeschreibung, die einen Link normalerweise begleiten. Ziel soll sein, dass Links auf fremde Websites fortan weniger Platz einnehmen und sich besser einfügen, damit Nutzer:innen eher auf X bleiben. Dadurch könnte die Klickrate zu verlinkten Landing Pages künftig sinken.

Einschränkung der API

Im Februar kündigte Twitter an, dass Tweets ab sofort nur noch für angemeldete Accounts sichtbar sein würden. Grund dafür soll ein verstärktes Vorgehen gegen Bots sein. Außerdem hat Musk die Nutzung der API (Application Programming Interface) stark eingegrenzt und kostenpflichtig gemacht.

Was das bedeutet? Externe Programme zur Contentplanung, über die man zuvor Beiträge absetzen konnte, funktionieren mitunter nicht mehr oder verlangen Aufpreise. Auch das beliebte Analytics-Dashboard TweetDeck ist seit Anfang Juli 2023 kostenpflichtig unter dem Namen X Pro verfügbar.

Vor allem die überhastete Implementierung der Änderungen ohne klare Kommunikation führte bei Drittanbietertools sowie Marketer:innen und PR-Verantwortlichen, welche diese nutzen, zu erheblichen Problemen.

Sollten Unternehmen weiterhin bei X Werbung schalten?

Eine Konsequenz von Musks volatiler Führungspolitik ist der Absprung vieler Werbekund:innen. Durch die mangelnde Sperrung unerlaubter Inhalte ist die Menge an Hassnachrichten und rassistischen Äußerungen rasant gestiegen. Innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Übernahme gab es einen Anstieg der Häufigkeit des N-Wortes um 500%. Einen starken Zuwachs gab es zudem bei der Verwendung antisemitischer, misogyner und transphobischer Sprache.

Elon Musk wird daher mangelnde Moderation und fehlendes Verantwortungsbewusstsein für die Gesprächskultur auf der öffentlichen Plattform vorgeworfen. Viele Werbekund:innen möchten nicht mit der Toleranz von Hate Speech in Verbindung gebracht werden und haben ihre Werbemaßnahmen auf Twitter daher eingestellt oder reduziert.

Umgekehrt wurde der Besitz eines blauen Häkchens für einige Unternehmen zu einem Imageproblem – schließlich kennzeichnet er die finanzielle Unterstützung von Elon Musks X und damit, so Kritiker:innen, die Verbreitung von Hassrede und extremistischem Content. Twitter selbst fügte daher sogar eine Möglichkeit hinzu, das blaue Häkchen wieder auszublenden.

Post vom MIT auf X (Twitter) zur Klarstellung, dass sie nicht für das blaue Häkchen zahlen.
Viele Unternehmen auf X (Twitter) sehen sich gezwungen, klarzustellen, dass sie nicht für das blaue Häkchen zahlen.

Ausblick: Twitter-Marketing in der Zukunft

Trotz der vielen chaotischen Änderungen und einer ungewissen Zukunft fürs Unternehmen, sollte man eines nicht vergessen: Twitter ist auch weiterhin eines der größten Sozialen Netzwerke auf dem Markt mit einer großen täglichen Nutzerschaft. Gerade im Business-Bereich und im Rahmen von Brachenevents wird neben LinkedIn am meisten auf X als vorwiegend textbasiertes Netzwerk gepostet. Dazu tragen auch die erweiterten Möglichkeiten für Unternehmen durch die Verifizierung bei. Weitere Funktionen sollen folgen und auch Twitter Analytics wird derzeit überarbeitet.

Seit der Übernahme hat sich Twitter stark verändert und wird es aller Voraussicht nach auch weiterhin. Viele blicken eher kritisch auf die Änderungen und denken, dass das beliebte Netzwerk ddadurch nun genau die Features verliert, durch die es sich einst auszeichnete. Musks Plan, den Nachrichtendienst zur Super-App zu machen, scheint aktuell noch nicht aufzugehen. Doch schon vor der Übernahme hatte das Netzwerk mit sinkenden Nutzerzahlen und Verlusten in Milliardenhöhe zu kämpfen. Entsprechend haben sich auch Supporter gebildet, die in Musk den Social-Media-Messias sehen und ihn in all seinen Handlungen unterstützen.

Es bleibt abzuwarten, was die nächsten Änderungen von Elon Musk mit sich bringen und inwiefern sich die Plattform und ihre Nutzungsmuster verändern. Aktuell ist X trotz allem eine wichtige Plattform mit viel Engagement und Reichweite, deren Nutzung aber riskanter geworden ist. Viele Unternehmen und Nutzer:innen schauen sich daher bereits nach anderen Netzwerken um. Einen Überblick über die Alternativen gibt es in diesem Artikel.

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